Exhibitions Munich (Germany)
European Patent Office - Gallery Treff Kunst - 2003/2004
Exhibition introduction by B Krebs :
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
gehören Sie zu den Menschen, die schon einmal einen Baum umarmt haben? Nein? Dann darf ich Ihnen sagen, dass Sie genau das heute nachholen werden – nicht wirklich und real, sondern im übertragenen Sinne.
Laurent Martinez, über dessen Werk ich heute sprechen will, hat in das Zentrum der Ausstellung, die wir heute eröffnen, den Baum gestellt. „In arboris“ nennt er seinen Bilderzyklus – es ist nach seiner Pariser Ausstellung vor zwei Jahren das zweite Mal, dass er sich intensiv mit Bäumen beschäftigt hat.
Es ist ein zentrales Motiv im künstlerischen Schaffen von Laurent Martinez, als solches definiert der Baum Inhalt, Technik und persönliche Interpretation der eigenen Wirklichkeit. Es ist aber zugleich Metapher und Hinweis auf etwas Größeres, in das sich Laurent Martinez eingebunden fühlt.
Wenn der Künstler den Baum in den Mittelpunkt stellt und das Auge des Betrachters darauf lenkt, dann ist es das Leben, von dem er mit den Mitteln der Farben und Formen spricht.
Der Baum als Sinnbild des Lebens – auf den ersten Blick scheint dies eine sehr simple und geradezu banale Interpretation. Aber nicht nur, dass elementare Aussagen auch in der Kunst nie an ihrem Wert verlieren – es kommt auch darauf an, was der Künstler daraus macht bzw. welchen Weg er zu diesen Grundfragen wählt. Der Weg von Laurent Martinez ist geprägt von einem permanent das Sein beherrschenden Dualismus - einem stets spürbaren Spannungsfeld, das seine Bewegung und Kraft aus dem Gegensatz speist.
Lassen Sie mich diese These an einigen Punkten fest machen:
So steht Laurent Martinez zu seinem Sujet in einer doppelten Funktion. Zum einen nimmt er die Rolle des Beobachters ein, zum anderen ist er Teil davon. Er lebt und reflektiert, er fühlt und tritt in einen künstlerischen Schaffungsprozess ein. Er ist passiv und aktiv, neben der Realität setzt er die Interpretation der Kunst. Und bei all dem gibt es einen gemeinsamen Nenner: die Entwicklung des Lebens, die sich von Vergangenheit über Gegenwart zur Zukunft spannt. Genau das interessiert den Künstler, denn für ihn ist es die einzige Konstante, die gilt.
Nachgerade zwingend logisch ist es in diesem Zusammenhang auch, dass Laurent Martinez nach der Rinde, die er in früheren Werken thematisiert hatte, nun sich dem Inneren des Baumes zuwendet. Vom Äußerlichen zum Inneren – Martinez erkennt die Entwicklung als Naturgesetz an – auf dem Fundament dieser Erkenntnis erliegt er aber der Faszination der darin verborgenen Möglichkeiten, die für ihn gleichsam ein Versprechen sind.
Und diese Möglichkeiten sucht er – er sucht sie in der Gegenwart, die in einem transzendenten Ganzen eingebettet ist. Und er beobachtet sie mit seinen Bildern in Ausschnitten, die gleich der Gegenwart nur eine Momentaufnahme von etwas Größeren ist.
Der Betrachter der Bilder sieht nicht die Erde, aus der der Baum wächst – und er sieht nicht den Himmel, der das Ziel des Wachstums ist. Aber er weiß, dass es beides gibt – und unbeabsichtigt ist er sich dessen immer bewusst.
Sehen und fühlen – allein an den bevorzugten Erdfarben und an den Strukturen sind diese beiden zentralen Appelle des Malers erkennbar. Zugleich fordert Laurent Martinez vor allem eines: Sich Zeit zu nehmen. Denn Entwicklung ist nichts Schnelles, sie kennt keine Abkürzungen. Man braucht Zeit und Ruhe, um die Bewegung und Unruhe der Verschiedenartigkeit zu erkennen. Und man braucht Zeit, um sich darauf und auf das Leben einzulassen.
Erst dann erkennt man, dass die vielen Bilder des Zyklus sich im grundsätzlichen Aufbau ähneln, aber doch so verschieden sind. Jedes Bild für sich ist Zeugnis von einem grundlegenden Plan, aber auch von den Möglichkeiten, die dieser in sich birgt. Und alles strebt, wenn auch nicht sichtbar, nach oben.
Bäume sind eine zutiefst reale und natürliche Sache. Oder in einem anderen Wort: Sie sind profan. Aber Laurent Martinez benutzt auch - genau im scheinbaren Gegensatz dazu - ein ganz anderes Wort: heilig. Und zwar heilig nicht im Sinne einer bestimmten Glaubensrichtig, sondern als Fingerzeig darauf, dass es im Leben noch viel mehr gibt als das materiell Wahrnehmbare.
Ich denke, dass Laurent Martinez ein Künstler ist, für den die Gemeinschaft lebensnotwendig ist. Glücklicherweise hat er sich nicht in ein eitles künstlerisches Exil entschieden, sondern versucht den Diskurs mit den Betrachtern seines Werkes. Ebenfalls glücklicherweise vermeidet er den erhobenen Zeigefinger - es fehlt ihm jeglicher missionarischer Ansatz. Nur die Farbe lässt ahnen, dass er aufmerksam machen will. Und in der Tat: Mit dem satten Rot erregt er das Interesse, sich die Bilder genauer anzuschauen. Und er ruft die Assoziation nach dem Blut, dem Saft des Lebens wach.
Ja, Laurent Martinez Werk ist simpel – und es ist hoch komplex. Es ist .... genau wie das Leben.
Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich bin der festen Überzeugung, dass Kunst vor allem eine sehr persönliche Sache ist. Lassen Sie sich bitte von meinen einführenden Worten, die ich absichtlich kurz gehalten habe, nicht allzu sehr leiten – nutzen Sie lieber die Chance, Ihre eigene Sicht des Lebens in den Bildern von Laurent Martinez zu entdecken. Ja, und vielleicht haben Sie sogar den Wunsch und die Muße, heute einen Baum zu umarmen!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
Bernhard Krebs